Carl Aigner
In Gegenwart der Vergangenheit
Nach den "Metamorphosen" von Ovid, dem "Gastmal des Platon" ist das Drama "Alkestis" von Euripides die dritte Griechisch-Antike Erzählung, mit der sich Ingrid Brandstetter bildnerisch auseinandergesetzt hat. Auslöser war das Gedicht von Rainer Maria Rilke, welches sich aus dem Geist eines romantischen Symbolismus mit der Alkestis-Erzählung beschäftigt. Alkestis, eine Frauengestalt aus der griechischen Mythologie, schönste Tochter von Pelias und Gemahlin des Admetos, geht freiwillig in den Tod, um das Leben ihres Mannes vor dem Sterben zu bewahren. Herakles jedoch entreißt sie dem Todesgott Thanatos und entführt Alkestis aus der Unterwelt zurück zu den Lebenden und zu ihrem Gemahl.
Es sind die zahlreichen Motive und Facetten der Erzählung, welche die Künstlerin faszinieren und zu einem insgesamt siebzehn Ölbilder und zahlreiche Zeichnungen umfassenden Zyklus verführt haben. Die Thematik Mann-Frau, Opferbereitschaft, Gattentreue, Tod und der ewige Mythos der Unvergänglichkeit, das komödiantische Moment des Mythos, die Kraft der den Tod überwindenden Liebe oder das Spannungsfeld von Mythos und Gegenwart sind einige Aspekte der bildnerischen Herausforderung, der sie sich gestellt hat. Das bildnerische Werk folgt dabei der Chronologie des Mythos, verbildlicht ihn mit dem Gestus einer zeitlosen Darstellung.
Brandstetter verfällt dabei nicht dem Trugbild eines Realismus oder Naturalismus. Der Transfer vom Mythos zum Bild erfolgt in subtilen, expressiven Andeutungen im Spannungsfeld von Gegenständlichem und Abstraktem. Die Setzung der Pinselstriche und Farben evozieren keine pikturale Wiedererkennbarkeit, sondern ein tastendes und fragendes Imaginieren. Es geht um ein permanentes Annähern von Vorstellung und Darstellung, von Erzählung und Bildlichkeit. Intensität und Leichtigkeit, Traurigkeit und Ironie, Liebe und Wehmut sind emotionale Wegmarken des Zyklus, der letztendlich vom ewigen Traum der Unvergänglichkeit und vom Tausch Tod gegen Leben erzählt. So wie dieser Mythos vielleicht nur eine Einbildung, ein Traum von Admetos ist, so sind die Bilder eine fernes Echo darauf. Sie berichten vom Phantasma der Welt und dem Versuch einer Aufhebung der Zeit, einer Verschmelzung von Vergangenem und Gegenwärtigem.
Der Zyklus "Alkestis" ist ein verbildlichtes Echo aus dieser Ferne der Zeiten, die wir in Form von Bilderträumen zu vergegenwärtigen versuchen. Damit aber ist der Bildserzyklus gleichzeitig auch eine Parabel über die Kunst als Ort ewiger Gegenwart.
Carl Aigner